01. November 2022

Daten aus dem Gefrierfach

Fakt ist, die Vorratsdatenspeicherung wurde durch verschiedene Urteile auf europäischer Ebene endgültig gekippt. Wie also damit umgehen, dass für Ermittlungsarbeit unendlich wertvolle Daten, je nach Ermessen des Kommunikations- oder Medienanbieters, mal früher, mal später gelöscht werden?

Das Bundesjustizministerium hat in einem jetzt bekannt gewordenen Gesetzentwurf versucht eine Möglichkeit zu finden, die sowohl den engen datenschutzrechtlichen Vorgaben des EUGH wie auch den Bedürfnissen der Ermittlungsbehörden gerecht wird: Quick Freeze.

Der vorliegende Referentenentwurf enthält zum Teil sehr gelungene Facetten, begonnen beim Wegfall eines der (aus Ermittlersicht) unseligen, weil häufig nur in Kleinigkeiten unterschiedlichen Straftatenkataloge wird der "TKÜ-Katalog" des §100a StPO immer mehr zur zentralen Drehscheibe der verdeckten Befugnisse. Aus meiner Sicht wäre allerdings eine ausschließlich am Strafmaß orientierte Staffelung der Eingriffsnormen in der StPO die einzig richtige Unterscheidung, weil sie sich an der kriminellen Energie des Täters und nicht an der gerade aktuellen politischen Diskussion orientieren würde. Ellenlange und mit jeder Änderung der Strafrechtsnormen anzupassende Kataloge würden dann endlich der Vergangenheit angehören.

Auch die sprachliche Angleichung der einzelnen, ähnlichen Regelungen war längst überfällig und lässt die bestehenden Unterschiede wesentlich deutlicher hervortreten.

Aber wann braucht man Quick Freeze eigentlich? 

Immer wieder gibt es Straftaten, bei deren Aufklärung zunächst nur wenig über den Täter bekannt ist. Da es keine Vorratsdatenspeicherung gibt, könnte der für uns wichtige Kommunikationsanbieter die Verkehrs- oder Standortdaten bereits nach sehr kurzer Zeit gelöscht haben. Quick Freeze eröffnet in solchen Fällen die Möglichkeit, die Verkehrsdaten beispielsweise aller Anrufer, die ein Opfer in einem bestimmten Zeitraum angerufen haben, zunächst "auf Eis" zu legen, um zu einem späteren Zeitpunkt, zu dem sich aufgrund weiterer Erkenntnisse der Tatverdacht auf eine bestimmte Person konzentrieren, den richtigen Anbieter zur Herausgabe der Daten zu verpflichten.

 

Das BMI hätte dem Vernehmen nach neben diesem Instrument außerdem gern die anlasslose Speicherung von IP-Adressen gesehen, die allerdings im Entwurf des BMJ nicht enthalten (aber vom EUGH sehr wohl gestattet) sind. 

Ich denke ebenfalls, dass sehr wohl ein Unterschied zwischen dem Schutz der Kommunikation zwischen Menschen einerseits und der Vertraulichkeit der Nutzung von Internetinhalten andererseits besteht. Dieser Grundrechtsunterschied kann und muss sich dann auch bei den Befugnissen zur Strafverfolgung auswirken, was umso klarer ins Auge fällt, je schlimmer die Straftat ist – nehmen wir nur den Bereich der Kinderpornografie. Gerade wegen der hohen Flüchtigkeit von IP-Adressen ist die Möglichkeit zur konkreten Zuordnung dieser Daten zu einem Nutzer oft die einzige Chance, dem digitalen Avatar eine menschliche Identität zu verleihen.

Wir dürfen auf die weitere Diskussion gespannt sein!

Volker Hesse, stellv. Bundesvorsitzender