Artikel / Kolumne
Was, wenn keiner mehr schützen mag?
Über die zunehmende Gewalt gegen Polizeikräfte, ihre Ursachen und
was wir dagegen tun müssen
Von Tag zu Tag wird es offensichtlicher, der Respekt vor der Polizei schwindet. Gewalt gegen Polizeivollzugsbeamte hat 2023 mit 46218 registrierten Fällen einen neuen Höchststand erreicht, ein Anstieg um acht Prozent im Vergleich zum Vorjahr. 105708 Polizistinnen und Polizisten wurden Opfer von Gewalt. Das sind fast 300 pro Tag. Die Taten reichen von Widerstandshandlungen über Beleidigungen bis hin zu körperlichen Angriffen. Die Statistik ist erschreckend, und sie ist ein Spiegel unserer gesellschaftlichen Verrohung.
Besonders alarmierend, die Hemmschwelle sinkt nicht nur auf der Straße, sondern auch im digitalen Raum. Hate Speech, Bedrohungen und gezielte Entmenschlichung sind im Netz längst zur täglichen Begleiterscheinung des Polizeiberufs geworden. Nach dem tragischen Mord an Yasmin und Alexander bei Kusel im Januar 2022 wurden innerhalb von drei Wochen über 1.600 Hasskommentare gezählt, mehr als 500 davon waren strafrechtlich relevant. Eine Ermittlungsgruppe „Hate Speech“ musste eingerichtet werden. Polizistinnen und Polizisten -Menschen-, die ihr Leben für unsere Sicherheit einsetzen, werden nicht nur angegriffen, sondern im Netz regelrecht entmenschlicht. Wer Polizistinnen und Polizisten so behandelt, behandelt auch den Rechtsstaat mit Verachtung.
Ein gefährlicher Trend ohne Umkehr?
Ein Blick auf die Ursachen
Kriminologische Analysen deuten darauf hin, dass gesellschaftliche Polarisierung, wirtschaftliche Unsicherheit, politische Radikalisierung und mangelnde soziale Teilhabe zentrale Risikofaktoren für Gewalt gegen Polizeikräfte darstellen. Gerade in Milieus, die sich gesellschaftlich abgehängt fühlen, wird die Polizei oft als Gegner wahrgenommen. Frustration, gestörte Impulskontrolle und ein hohes Maß an Stress, häufig unter Einfluss von Alkohol, erhöhen die Wahrscheinlichkeit gewalttätiger Eskalationen.
Bereits die KFN-Studie von 2005 bis 2009 warnte vor den Folgen zunehmender Polarisierung: Gewalt gegen Polizistinnen und Polizisten resultiere nicht aus einer generellen Zunahme der Gewaltbereitschaft, sondern aus der Entstehung sozialer Parallelwelten, in denen Gewalt gegen Repräsentanten des Staates als legitimes Mittel angesehen werde. Dies sei nicht nur eine Frage von Armut oder Herkunft, sondern auch von kultureller Entfremdung und Normverschiebung, etwa bei bestimmten Migrantengruppen, in denen die Polizei traditionell ein schlechtes Ansehen genießt. Auch das Bild der Polizei in der Öffentlichkeit spielt eine Rolle. In bestimmten Bevölkerungsgruppen, vor allem unter Jugendlichen, ist das Ansehen der Polizei erschreckend gering.
Es geht nicht mehr um einzelne Konflikte, sondern um eine Haltung. Polizistinnen und Polizisten werden nicht mehr als Menschen, sondern als Symbol angegriffen.
Ein Beruf unter Druck
Wer will unter diesen Bedingungen noch Polizist oder Polizistin werden? Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Allein in der Bundespolizei wurden zwischen 2020 und 2024 rund 2.900 Anträge auf Entlassung aus dem Dienst gestellt. Und gleichzeitig sinkt die Zahl der Bewerberinnen und Bewerber. Warum auch einen Beruf ergreifen, in dem das Wort „Wertschätzung“ oft nur noch als hohle Phrase wahrgenommen wird? Die Anforderungen steigen, die Gefahren ebenfalls, körperlich wie psychisch.
Wenn niemand mehr schützen will, was passiert dann mit unserer Gesellschaft? Was passiert, wenn der Beruf des Schutzmanns oder der Schutzfrau so unattraktiv wird, dass er nicht mehr zu besetzen ist?
Ein Appell für mehr Wertschätzung
Polizistinnen und Polizisten sind keine anonymen Uniformträger, sondern Menschen mit Familien, Leben, Idealen, und einem gefährlichen Beruf. Sie riskieren ihre Gesundheit und mitunter ihr Leben, um unsere Sicherheit zu gewährleisten. Die permanente Entgrenzung im Umgangston, der digitale Hass, die körperlichen Angriffe, sie alle führen zu einer Erosion des Respekts, die wir als Gesellschaft nicht hinnehmen dürfen.
Gewalt gegen die Polizei ist nicht nur eine Attacke auf Einzelne, sondern auf unsere demokratische Grundordnung. Wer der Polizei Achtung und Rückhalt verweigert, stellt letztlich das Funktionieren unseres Rechtsstaats infrage.
Die Polizei braucht Rückhalt, und zwar nicht nur auf dem Papier, sondern spürbar, in Worten und Taten. Es reicht nicht, auf Gewalt mit Gesetzesverschärfungen zu reagieren. Die Politik ist gefordert. Die Politikerinnen und Politiker sind gefordert.
Polizistinnen und Polizisten verdienen Respekt
Wir brauchen klare Haltung. Hass gegen Polizistinnen und Polizisten darf nicht relativiert oder verharmlost werden. Wer sie angreift, greift den Rechtsstaat an. So einfach, und so ernst, ist das.